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Vom gescheiterten Versuch, ein Kinderbuch zu kaufen

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Es ist Montag oder vielleicht auch Dienstag, das spielt aber auch keine große Rolle. Ich lasse die Tür hinter mir zufallen und genau in dem Moment, in dem ich höre, wie sie ins Schloss fällt, schießen mir Tränen die Wangen hinunter. Etwa 10 Minuten und zirka 300 Meter habe ich es geschafft, diesen Gefühlskloß in mir zu zähmen. Den ganzen Weg nach Hause vermeide ich es mit aller Kraft, auf offener Straße in Tränen auszubrechen, hoffend, nicht gerade jetzt einen Bekannten zu treffen, der mich fragt: „Und wie geht's dir?“, oder so. Dann wäre alles aus und ich würde heulend auf der Straße stehen. Ich bin überrascht von mir, warum haut mich diese blöde Begegnung so um?!

„Wenn sie das kaputt macht, dann müssen Sie das bezahlen.“ Während ich bei einer Verkäuferin an der Kasse des kleinen Buchladens stehe (es war nicht irgendeiner, es war mein Lieblingsbuchladen) und meine PIN eingebe, um zwei Bücher für die Kleine zu bezahlen, säuselt die dahinter sitzende Verkäuferin mir mit scharfer Miene diesen Satz entgegen. Ich lächle sie zunächst an, im Glauben sie würde etwas Nettes sagen. Aber nein. Ich habe offensichtlich die Kleine beim Eingeben der PIN kurz nicht im Blick gehabt. „Ihr Kind hat das Buch runtergerissen, Sie haben nicht richtig aufgepasst! Sie müssen das bezahlen, wenn es kaputt ist“, wiederholt sie. „Sie können Ihr Kind hier nicht einfach rumkrabbeln lassen, dies ist ein Buchladen!“ Selbstverständlich! Natürlich! Ist doch klar. Das will ich doch auch gar nicht. „Äh, ich habe schon aufgepasst …“ „Nein, haben Sie nicht …“, sie war nicht zu stoppen. Ich entschuldige mich, ich will mich gar nicht mit ihr streiten.

Es war ein Versuch
Ich habe mir schon länger gewünscht, für die Kleine ein schönes Buch auszusuchen. Wie oft ich an dem Schaufenster vorbeigelaufen, aber niemals reingegangen bin, seit Wochen, seit Monaten. Weil ich keinen Ärger verursachen möchte, habe ich es immer wieder gemieden. Aber das ist keine Lösung auf Dauer, nicht für mich. Ich möchte einen Weg finden, mit der Kleinen. Ich weiß, dass in dem Laden eine kleine Kiste für Kinder steht. Ich gebe mir einen Ruck und will es probieren, denn solange sie die Kiste ausräumt, könnte ich doch ein Buch für sie auswählen, ganz schnell … Aber dann: Bauchlandung, Pech gehabt, Mist.

Eine Phase
Mal eben mit der Kleinen zur Post, ein Paket abgeben, dabei in einer Schlange warten … geht selten. Nach spätestens drei Minuten versucht sie, sich mit all ihrer Kraft aus dem Wagen zu befreien, rauszuklettern, weint und protestiert, wenn es nicht gelingt. Einkaufen, wenn die Gänge zu eng sind, geht nur, wenn die Kleine im Kinderwagen schläft. Andernfalls streckt sie ihre Arme aus und reißt alles, was sie mit ihren gespreizten Fingern erreichen kann, herunter. Ich gehe, wenn möglich, nur noch in den Supermarkt mit den breitesten Gängen. Arztbesuche (ich bin ja schwanger und habe einige davon zu absolvieren) kann ich ohne Bestechungs-Franzbrötchen vergessen. Ein kleiner Koffer mit sorgfältig ausgewählten Spielsachen interessiert die Kleine nicht, wenn wir woanders sind. Ein Regal mit Flyern, eine Schublade im Behandlungsraum, Kabel, Steckdosen, technische Geräte, all das sind Reize für sie, denen sie nicht widerstehen kann. Ein Reiz löst unmittelbar einen Impuls aus, dem sie folgt, folgen muss. Es steckt eine enorme Energie dahinter. Sie davon abzuhalten, ist so gut wie unmöglich. Es ist eine Phase, versicherte mir die Heilpädagogin. Eine Phase, die eine ganze lange Weile andauern kann.

Es war mein Laden
Dann kommt dieser Satz von der Verkäuferin: „Ich habe zwei Kinder und mir ist sowas nie passiert.“ Das ist fies irgendwie. Ich habe keine Chance, die Situation zu befrieden, stehe sprachlos da. Ich habe die Große ja relativ jung bekommen, sie ist 16 Jahre alt heute. Ich habe ihr erstes Buch in diesem Laden gekauft, es trug ihren ersten und zweiten Namen, die sehr selten sind. Damals war sie wenige Wochen alt. Dann kaufte ich dort Bilderbücher, „Bobo“ in allen möglichen Versionen. „Conni“ lernt dies, „Conni“ lernt das … Dann erschienen die „Lola“-Bücher von Isabel Abedi und die Große fieberte jeder neuen Veröffentlichung entgegen, besuchte zwei Lesungen der Autorin in dem kleinen Laden … Und natürlich all die Geschenke für Kindergeburtstage! Mein Laden.

Und jetzt?! Einschließen oder anecken?!
Die ganze Situation ist so ausgegangen, dass ich die eben gekauften Bücher wieder zurückgegeben habe. Ich wollte einfach nur noch raus und von dem Laden erst mal nix mehr wissen. Während der Rückgabe halte ich die Kleine mit Mühe auf dem Arm, sie möchte runter. Ich setze sie in ihren Kinderwagen und sie greift dabei einen Stapel Postkarten aus einem Ständer. Ich sammle sie auf, ordne sie wieder ein. Draußen sehe ich, dass noch eine in ihrem Fußsack gelandet ist. Gehe rein und stelle sie in den Ständer zurück. Die Verkäuferinnen bemerken uns nicht.
Ich werde weiter meinen Weg mit der Kleinen gehen. Ich kann und möchte nicht alle Situationen meiden, die möglicherweise unangenehm sein können. Sie wird Zeit benötigen, um zu verstehen, was sie darf und was nicht. Ich werde Geduld berauchen. Aber ich möchte hier leben, in meinem Stadtteil, ganz normal, und mich nicht abschotten. Die ein oder andere unschöne Begegnung wird es vielleicht noch geben: Wenn dann wirklich mal was kaputt geht, weil ich einen Moment nicht aufgepasst habe.


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